|
1977 - 2002
VON DER IDEE ZUR WIRKLICHKEIT
Eigentlich beginnt die Geschichte der "Wirklichkeit" schon 1971. Damals entstand die erste Fassung der Kapitel "Sel Veey - Gestalten der Furcht" und "L /. 7". Die Handlungsabläufe wurden immer wieder variiert und nur selten aufgeschrieben, und wenn, dann in Form von Bildern mit Kurztexten, ähnlich wie in Bilderbüchern. Es ging stets um einen Menschen, der versuchte, sich selbst zu schaden oder gar umzubringen und der jedesmal daran gehindert wurde. Letzteres war meine Aufgabe. Hinter der Stadt gab es ein Moor mit Birkenwäldern, und manchmal fuhr nachts ein Zug aus der Stadt dort hinein. Es war ein schwarzer Zug ohne Fenster, und wenn er vorbeigerauscht war, sah man die roten Rücklichter in der Dunkelheit verschwinden.
Auf einer Radioplatine suchte ich nach den Leuten, die in dem Radio sein mußten. Ich fragte mich, ob sie vielleicht im Verstärker untergebracht waren.
1977 lief ich in einem Traum im Nachthemd durch eine fast menschenleere Schule. Man sagte mir, ich sei tot, und im Musikraum finde die Trauerfeier statt. Der Raum lag weit hinten im Erdgeschoß. Ich sah dort nach. Bis zur Tür drängten sich Erwachsene in Cocktailgarderobe, die mit Sekt anstießen. Ein Sarg stand unbeachtet auf dem Fußboden neben dem Eingang; es sollte wohl mein Sarg sein. Daß ich in den Musikraum gekommen war, fiel niemandem auf. Ich ging in den ersten Stock in ein leeres Klassenzimmer und fand darin meterhohe Papierstapel. Ich begann zu schreiben und fühlte, wie das Leben in mich zurückkehrte.
Im Herbst 1977 war ich bei Bekannten zu Besuch. Ich hatte ein Zimmer mit Blick auf den Bahndamm. Nachts zog ich den Rolladen ein Stück hoch und beobachtete das Umspringen der Ampelsignale. Daß die Ampeln der Bahn schräggestellt waren, fand ich besonders geheimnisvoll. Vor allem Güterzüge fuhren nachts vorbei, schwarze Waggons ohne Fenster.
Im Regal standen viele Bücher, und ich blieb die halbe Nacht auf, um sie zu lesen. Die Märchen waren für mich am wichtigsten.
Eines der Märchen - "Der Prinz der blauen Berge" von Guillot - handelt davon, daß ein Prinz im Wasserspiegel eines Sees das Gesicht einer Prinzessin erblickt und sich in sie verliebt. Wie sich herausstellt, wurde sie verzaubert. Er erlöst sie, und sie heiraten.
In dem, was ich gesehen und in dem Märchen gefunden hatte, schien eine Geschichte verborgen zu sein, und die suchte ich fortan. Ich wollte wissen, woran mich der schwarze Zug, das Moor und die Menschen, die sich nicht erreichen konnten, erinnerten. Die Geschichte gab es schon; ich mußte sie finden und aufschreiben. Und ich wollte herausbekommen, was die Geschichte bedeutete. Etwas war darin verborgen, ein Gefühl, das man nicht beschreiben konnte. Das hatte eine eigene Macht, Macht über mich und eine, die mir verliehen war.
"Ich will die Geschichte schreiben, die ich lesen will", nahm ich mir vor.
1979 begann ich, die "Wirklichkeit" zu schreiben. Ich fand, daß ich in den dreizehn Jahren, die ich auf der Welt war, zu wenig erlebt hatte, um die Geschichte lebendig zu gestalten. Was mir vor allem fehlte, war "der andere Mensch", dessen Wesen und Verhalten man nicht erfinden konnte, weil er zu vielschichtig war. Die Suche begann, die Suche nach dem "anderen Menschen", der Hauptfigur.
In den folgenden Jahren fand ich nach und nach die Leute aus der Radioplatine - Lärm, Licht und Trubel. Sounds gab es, die hörten sich an wie ein Radio, aus dem der Sender herausgedreht war, und dazu wurde getanzt. Ich fühlte mich nicht mehr lebendig begraben.
1993 fand ich den "anderen Menschen". Ein Zug fuhr ab und ließ mich mit ihm auf dem Bahnsteig zurück. Wir sahen die roten Lichter in der Dunkelheit verschwinden.
Die "Wirklichkeit" wurde auf Eis gelegt, weil ich nur noch damit beschäftigt war, die Hauptfigur kennenzulernen.
1998 schrieb sich die "Wirklichkeit" wie von selbst weiter. Sie geriet zum Gegenteil des Märchens von Guillot. Es gibt keine Adligen darin, niemand wird erlöst, und das Ende bleibt offen. Das einzige Heile ist bedingungslose Liebe und Treue. Mit einem Märchen hat die "Wirklichkeit" nur noch gemeinsam, daß sie von unmöglichen Dingen handelt, insbesondere von einer Lichtjahre entfernten Parallelwelt.
2002 wurde das letzte Kapitel von Teil 2 fertig. Wenn es eine Fortsetzung gab, sollte sie gleichfalls von selbst entstehen, ohne daß ich es mir vornahm.
2002 - 2008
DIE FORTSETZUNG: DAS EWIGE IM VERGÄNGLICHEN
Eigentlich hatte ich immer irgendetwas anderes vor, wenn ich an der Fortsetzung der "Wirklichkeit" arbeitete. Teil 3 schrieb sich ebenso von selbst wie Teil 1 und 2.
"Die Zauberkraft des geschriebenen Wortes" ist ein Begriff, den ich 1981 in mein Notizbuch schrieb. Das bedeutete: Das Geschriebene wirkt von sich aus. Was man geschaffen hat, entwickelt ein Eigenleben. Es kann erinnern, verändern, formen ...
Wenn ich zu lange getrennt bin von meiner Arbeit, habe ich das Gefühl, daß ich nicht mehr ich bin, nicht mehr bei mir selbst. Die "Wirklichkeit" bringt mich zu dem zurück, was wirklich ist in meiner Welt, was wichtig ist und wer ich bin.
Verstaubte Monster senken die Köpfe, Gespenster fliehen in dunkle Ecken; sie alle müssen schweigen, sie verlieren ihre Macht.
Es scheint etwas zu geben, das stärker ist als der allgegenwärtige Tod. Das zu finden, das zu beschreiben ist die Aufgabe der "Wirklichkeit".
"... cause this is real, and this is good
it warms the inside just like it should
but most of all
most of all, it's built to last."
(Mêlée - "Built to last")
OKTOBER 2008
ENDE OHNE ENDE
Teil 4 sorgt für endgültige Entscheidungen.
Wie kalt muß es sein, ehe Liebe anfängt, zu gefrieren? Katharin findet die Antwort:
Sie gefriert selbst dann nicht, wenn sie nicht mehr gebraucht wird.
2009 - 2022
GESPRÄCHE MIT EINEM TOTEN
In Teil 5 der "Wirklichkeit" geht es um die Frage, warum Tain nicht aufhören kann, sich zu erinnern ... die Antwort ist einfach, aber nicht einfach zu finden.
Und es gibt nicht auf alle Fragen eine Antwort ...
|
|